HexxHexx Geschrieben 1. April 2010 Share Geschrieben 1. April 2010 Vier Wochen vorher sah ich sie im Dorfkrug. Sie lehnte an der Tür, trug Holzpantinen, blies sich von Zeit zu Zeit die Locke aus der Stirne und sah mit leerem Blick auf die Papiergirlanden, die über dem Gestampf der Paare schwangen. Die Blasmusik war nur zum Schweigen gut. Sie stieß sich mit der Schulter ab vom Pfosten, zog ihre Jacke fester, ging hinaus. Ich fragte sie, ob wir uns sehen können. Sie sah mich an und sagte: Ostermontag. Ich bin um neun am ersten Luftschutzbunker. Dann gab sie mir die Hand und lief davon. Wir gingen schweigend zwischen Kiefernstämmen. Der Wald war überschwemmt, an trocknen Stellen war alles aufgewühlt von wilden Schweinen. Die Wasserreiser an den grauen Weiden besetzt mit großen Kätzchen - kückengelb. Die Sonne fiel in hellen, warmen Rhomben auf gelbe Kätzchen und auf nasses Moos. Ich war schon neunzehn, sie war achtzehn Jahre. Ich mager, rotblond, sie war schwarz und rund. Ich trug zerfetzte Leinenschuhe, gefärbte Khakihosen, Drillichjacke und einen wehrmachtsgrauen langen Schal. Sie schwarze Holzpantinen, wollne Strümpfe und einen weiten Rock aus einer Decke, ein weißes Turnhemd, eine enge Jacke, die nicht zu knöpfen ging, sie hielt sie oben zu. Wir küßten uns und sprangen über Pfützen, wir sprachen über Blasmusik und Essen, wir rissen Kätzchen ab und färbten uns die Nasen mit Blütenstaub und küßten sie uns sauber. Wir setzten uns auf einen Eichenstubben, wir sagten, daß wir uns wirklich liebten. Ihr war es ganz egal, daß wir nicht wußten, wie spät es war. Sie hatte keinen Hunger. Es gab zu Mittag nur Kartoffelsuppe, die hatte sie am Tag davor gekocht. Mein Zug fuhr erst um fünf. Wir gingen weiter und suchten einen trocknen Flecken Erde. Am Rande einer überschwemmten Wiese stand ein verbrannter Heereskübelwagen. Wir setzten uns auf eine Panzerplatte und legten meinen grauen Schal darunter. Da war die Sonne weg, und es begann zu gießen. Durchnäßt und traurig liefen wir zurück. Ihr Vater wartete vor der Barackentür. Er durfte mich nicht sehn, wir trennten uns und fragten nicht, wann wir uns wiedersehen. Ich stand im Wald und sah den Vater schimpfen, sie ging an ihm vorbei durch ihre Tür. Ich weiß nicht, wie sie hieß. Ich sie nie mehr. Doch an den Wald, die Kätzchen und den Regen kann ich mich noch, so oft ich will, erinnern. - Heinz Kahlau - Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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